Interview & Text: Marco Frenzel
Vor dem Berliner Hyatt-Hotel stehen vereinzelt schwarz gekleidete und geschminkte Teenager mit Digicams im Anschlag und spähen unsicher durch die großen Glasfenster. Irgendwo dahinter sind Depeche Mode. Während die Fans bereits in die dritte Generation gehen, blickt die Band auf eine 25-jährige Geschichte zurück, und scheint es immer noch wissen zu wollen. Nach vier Jahren melden sich Depeche Mode mit ihrem neuen Album “Playing The Angel“ zurück und sind wieder bester Laune. Keine Spur mehr vom Zwist vergangener Tage. Die drei Herren tragen schwarz und stellen keinerlei aufgesetzte Pose zur Schau, wie man vielleicht denken könnte. Martin Gore ist deutlich von der letzten durchzechten Nacht gezeichnet, Andrew Fletcher wirkt stets konzentriert und locker und Dave Gahan sieht so gut aus wie lange nicht mehr. Gemeinsam sitzt man auf einem breiten Ledersofa- es wird gewitzelt, gesungen und viel gelacht.
Wie verlief die Zusammenarbeit am neuen Album, nachdem jeder für sich in den letzten Jahren an eigenen Projekten gearbeitet hat und ihr ja weit voneinander entfernt lebt?
Andrew: Das war der Wechsel von der Diktatur zur Demokratie (lacht). Nein, es war eine sehr entspannte und kreative Atmosphäre ohne jeden Druck. Wir waren schon lange nicht so entspannt miteinander.
Martin: Wir trafen uns vor einem Jahr mit Mute-Chef Daniel Miller und unserem Manager um zu sehen, ob die Chemie zwischen uns noch stimmte. Nach vier Jahren kann man das nie so genau wissen. Dave spielte mir einige seiner Songs vor, ich spielte ihm einige von meinen vor. Nach weiteren fünf Wochen hatten wir bereits elf Songs geschrieben, das ist schon außergewöhnlich für uns.
Ben Hillier ist euer erster Produzent, der vornehmlich mit Gitarrenbands gearbeitet hat. Wie kamt ihr auf ihn?
Andrew: Es stellte sich heraus, dass er der Electro-König ist. Er hatte das ganze Studio voller analoger Synthesizer und Effektgeräten und kannte sich sehr gut mit der Musik aus. Er gab dem Album seinen spezifischen Sound. Der Grund warum wir gerade mit ihm arbeiten wollten war, dass wir seine Haltung und seine Arbeit sehr mochten.
Dave: Allerdings mochte er unsere Musik überhaupt nicht. Er hasste sie sogar! Aber das fanden wir gerade cool (lacht).
Auf euren letzten Alben habt ihr mit so illustren Produzenten wie François Kevorkian, Tim Simenon und Mark Bell zusammengearbeitet, deren Einfluss auf den jeweiligen Alben deutlich zu spüren ist. Wie sah die Zusammenarbeit mit Ben Hillier konkret aus?
Andrew: Wir brachten die fertigen Songs mit ins Studio, um dort mit Ben an der musikalischen Umsetzung zu arbeiten. Er war das nicht gewohnt, weil Bands wie Elbow, Doves oder Blur, mit denen er zuvor gearbeitet hat, ihre Songs eher im Studio schreiben. Er war für das musikalische Konzept und den Vibe des Albums verantwortlich.
Martin: Die Demos unterscheiden sich häufig deutlich von endgültigen Songs. Ein Song kann während des Produktionsprozesses eine komplett andere Richtung einschlagen. Der Produzent macht Vorschläge die wir aufgreifen und so gemeinsam den Song ständig weiterentwickeln. Für uns ist dieser Prozess spannend, darum geben wir unsere Singles auch gerne für Remixe frei.
Die Aufnahmen fanden an euren jeweiligen Wohnorten in Santa Barbara, New York und London statt. Das klingt sehr demokratisch.
Andrew: Jeder von uns hat sein zu Hause und seine Familie, und so wollten wir die Zeit möglichst fair aufteilen, damit niemand zu lange von seiner Frau und Kindern weg ist.
Dave Gahan hat erstmalig drei Songs zum neuen Album beigesteuert. Gab es da Interessenkonflikte?
Martin: Nachdem Dave sein Soloalbum herausbrachte, war davon auszugehen, dass er auch Songs für Depeche Mode schreiben wollte. Während seiner “Paper Monsters“-Tour nannte er mich dann einen totalitären Diktator, was wirklich unfair war, weil ich das nicht bin. Dave hatte nur ein einziges Mal einen Song für Depeche Mode vorgeschlagen, den er am Strand ohne jede Instrumentierung sang. Das war während der Aufnahmen zu “Ultra“ und Tim Simenon und ich fanden, dass er einfach nicht zu der Stimmung des Albums passte.
Andrew: In Wahrheit war es aber so, das Martin ziemlich betrunken war, als Dave seine Chance sah und ihm den Song vorspielte. Martin fand ihn auch toll- bis zum nächsten Morgen.
Martin: Ich erinnere mich noch, dass ich, während ich ihm erklärte, dass seinen Song super sei, die Treppen hinunter ging, das Gleichgewicht verlor, hinfiel und mich anschließend übergab (lacht). Das hatte nichts mit dem Song zu tun, er zeigt nur, in welchem Zustand ich war.
Und in welchem Zustand warst du, als er dir diesmal seine Songs vorspielte?
Andrew: Na, er war wieder betrunken!
Martin: Nein, Dave hatte 13 – 15 Songs geschrieben…
Andrew: Und Martin hatte zu diesem Zeitpunkt erst fünf!
Martin: Bevor ich auch nur einen Song gehört hatte sagte ich ihm, dass es maximal drei Songs aufs Album schaffen werden, weil er nach 25 Jahren nicht einfach die Hälfte der Songs schreiben kann. Denn wir haben eine Formel nach der wir arbeiten, und die bisher gut funktionierte. Es ging also darum, welche Songs wir für das Album auswählen wollten.
In deinen Songs spielt Religion oder deren Symbolik eine wichtige Rolle…
Martin: Für mich steht fest, dass ich keiner organisierten Religion angehören kann. Es macht für mich einfach keinen Sinn. Ich folge meinem eigenen spirituellen Weg, und Songs wie “Macro“ spiegeln das vielleicht auch wider. Zum anderen reflektieren Songs wie “Personal Jesus“ oder “Blasphemous Rumours“ meine kritische Auseinandersetzung mit diesem Thema.
Und inwiefern sind die persönlichen Songs autobiographisch?
Martin: Also, ich lasse mich gerade scheiden, und das nervt extrem. Kann sein, das da was von in die Songs mit eingeflossen ist. Es ist keine angenehme Situation für mich. Ich habe drei Kinder. Und meine Frau muss ich viel Geld bezahlen…Naja, die Tour wird mich auf andere Gedanken brigen.
Was können wir von eurer Live-Show erwarten?
Martin: Wir arbeiten wieder mit unserem Fotografen Anton Corbijn zusammen und alles, was er uns bisher gezeigt hat, ist eine wage Skizze des Bühnenbildes. Es sieht interessant und irgendwie rudimentär aus. Er möchte auch weg von den künstlerischen Filmen und mehr die Band live filmen, damit man uns auch von weit hinten sehen kann.
Ihr singt einige Songs gemeinsam, war das so geplant oder entstand die Idee dazu im Studio?
Dave: Wir haben gemerkt, dass unsere Stimmen gut miteinander harmonieren und singen Backing Vocals beim jeweils anderen. Eine neue Erfahrung, die wir zukünftig vielleicht ausbauen werden.
Martin: Dave hatte auch eine gute Idee, wie wir das vielleicht live umsetzen könnten. Bei vorherigen Touren hatte ich immer einige Songs solo auf der Akustikgitarre gespielt und Dave meinte, dass er dazu die Backing Vocals singen könnte.
Dave: Ich müsste nicht die Bühne verlassen, sondern könnte weiter in der Band bleiben und im Hintergrund singen oder Tamburin spielen. Ich fand es immer etwas schwierig, zurück auf die Bühne zu kommen, und mich wieder eins mit der Band zu fühlen.
Das Konzert war in kurzer Zeit ausverkauft und Tickets werden mittlerweile bei Ebay für 300 Euro angeboten.
Dave: Ich wusste, dass ich mit den Tickets da ein gutes Geschäft mache (lacht). Nein, ich weiß nur, dass ich für keine Show so viel Geld ausgeben würde. Aber was war es, das Keith Richards mal gesagt hat: man ist nicht relevant, wenn man nicht gebootlegt wird. In einem Plattenladen in New York fand ich letztens eine ganze Reihe von Depeche Mode-Bootlegs. Das verdeutlicht, wie sehr Fans an allem interessiert sind, was du tust.