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Soundtracking » Blog Archive » Kann man Geschichte reparieren?

Kann man Geschichte reparieren?

Interview mit Robert Thalheim

Der Berliner Regisseur Robert Thalheim drehte im polnischen Oswiecim, dem ehemaligen Auschwitz, nach Netto seinen zweiten Film und berichtet uns im Interview von seinen Erfahrungen in der Begegnungsstätte.

Du warst ja genau wie der Hauptdarsteller in Oswiecim als Zivi. Wie autobiografisch ist der Film denn?

Der Film basiert auf Situationen und Begegnungen, die ich in Oswiecim erlebt habe und die wichtig für mich waren. So traf ich den ehemaligen KZ-Häftling Kasimir Smolen, der als Zeitzeuge bis heute auf dem Lagergelände lebt und von dem viel in die Figur des Krzeminski geflossen ist. Während meines Aufenthalts machte er Führungen und war der Einzige, der auf dem Gelände geraucht hat, obwohl das natürlich verboten war. Und obwohl er das Museum gegründet hat, darf er mittlerweile keine Führungen mehr machen, weil ihm die offizielle pädagogische Guideausbildung fehlt. Heute macht er so viel Zeitzeugengespräche wie möglich, manchmal bis zu vier an einem Tag, und sitzt am Parkplatz vorm Museum und quatscht mit den Taxifahrern. Sein langsames Verschwinden aus dem großen Erinnerungsbetrieb wollte ich thematisieren.

Gab es etwas über die persönliche Erfahrung hinaus, was dich dazu bewogen hat, einen Film über die Gedenkstätte Auschwitz zu machen?

Mir gefiel immer, wie im Film Hiroschima, Mon Amour anhand einer Liebesgeschichte etwas über einen kollektiven Ort gesagt wurde. Stattdessen erzählen Filme, wie Rosenstraße, Der Untergang oder auch Schindlers Liste aus historischer Sicht und voller Melodramatik Geschichten über einen Ort, für den ich ganz andere Bilder vor Augen hatte. So kam der Wunsch auf, meine Sicht auf Oswiecim zu erzählen.

Du hattest ja mit Hans-Christian Schmid als Produzent auch jemanden, der viel Wert auf ein ausgefeiltes Drehbuch legt. Wie war denn die direkte Zusammenarbeit?

Gut das du mich das nicht vor einem Jahr gefragt hast! Man bürdet sich da auch was auf, wenn man einen Produzenten hat, der eine starke eigene Vision zum Stoff entwickelt. Andererseits fühlte ich mich direkt nach der Filmschule noch nicht reif genug und wollte möglichst viel dazulernen. Und auch wenn ich mittendrin oft geflucht habe, war die Zusammenarbeit vor allem eine große Chance für mich.

Es gab ja keine Drehgenehmigung für das Lager- führte das zu dramaturgischen Veränderungen im Skript?

Gar nicht. Ich wollte das Lager nicht in den Mittelpunkt rücken, sondern aus der Sicht von jemanden erzählen, der dort täglich lebt und arbeitet. Obwohl ich einige Szenen gern vor Ort gedreht hätte, bin ich im Nachhinein froh, dass wir die Kofferausstellung nachgebaut haben, und nicht mit der gesamten Crew vor den original Koffern gedreht haben, sondern die Requisiten vom Polanskis Der Pianist benutzen konnten.

In Bezug auf die zu restaurierenden Koffer wird Krzeminski ermahnt, die historischen Koffer zu konservieren und nicht zu reparieren. Kann man Geschichte reparieren?

Für Krzeminski ist das Reparieren der Koffer das Aufarbeiten seiner traumatischen Geschichte, das er nie abschießen wird. Ich versuche diese Frage im Film zu thematisieren, weil ich auch keine eindeutige Antwort darauf habe. Auschwitz ist eben nicht nur eine Museum, sondern auch eine offene Wunde, die Menschen wie Krzeminski noch umtreibt. Ich glaube, das man Geschichte nicht reparieren kann, indem man sich eine großes teures Mahnmahl in die Hauptstadt stellt. Und dennoch ist es wichtig, das es existiert. Dieses Dilemma habe ich versucht, anhand der Koffer zu thematisieren.

Du hast von Auschwitz als Erinnerungsbetrieb gesprochen…

Es ist schon etwas verstörend, wenn man an einem sommerlichen Ferientag nach Auschwitz kommt und auf dem Parkplatz neben dem Hot-Dog-Stand Busse die Touristen ausladen und unter dem Schild „Arbeit macht frei“ diverse Väter ihre Familie mit Videokameras filmen. Auf der anderen Seite ist es eine Art der Auseinandersetzung und ich wünsche mir, dass Leute dort hinkommen, denen ich nicht verordnen möchte, wie sie sich zu verhalten haben. Stattdessen möchte ich eine kritische Auseinandersetzung zum Thema Erinnerungsbewältigung ermöglichen.

Du hattest ja ein deutsch-polnisches Team. Gab es da untereinander auch Diskussionen zum Thema?

Definitiv. Gerade die Polen haben sich das Drehbuch mit kritischem Interesse im Hinblick auf unsere Sicht auf ihr Land angeschaut. Wenn beispielsweise der deutsche Meister im Film sagt, die Polen hätten das Chemiewerk ganz schön runtergewirtschaftet, dann will ich damit seine Arroganz zum Ausdruck bringen, die Polen hörten aber nur den Vorwurf heraus. Da merkt man plötzlich, dass es immer noch viele Missverständnisse gibt und wir trotz MTV und Globalisierung unterschiedlich sind und man kommunizieren muss, um sich zu verstehen.

Interview: Marco Frenzel

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